"MITBÜRGER UNTER VORBEHALT" (November 2013):
Die Kirche und ihr Verhältnis zum Judentum
Am „Tag der Demokratie“ hatte die evangelische Kirchengemeinde Remagen-Sinzig und das Friedensbündnis Remagen im Rahmen des Aktionsplanes einen Vortrag geboten, der die evangelische
Friedenskirche fast bis zum letzten Platz gefüllt hatte. Pfarrer Michael Schankweiler aus Oberwinter hatte unter dem Thema „Die Kirche und ihr Verhältnis zum Judentum – Umkehr und Erneuerung“ aus
kirchlicher Selbstreflektion das Verhältnis der Kirchen zum Judentum näher beleuchtet. Dabei ging er den Fragen nach, wie das Verhältnis der Kirchen zum Judentum, welches Jahrhunderte lang von
Rivalität und Feindschaft geprägt war, als kirchlicher Antijudaismus a u c h und m i t zum Nährboden für den politischen und rassistischen Antisemitismus des Nationalsozialismus benutzt werden
konnte. Den gespannt lauschenden Zuhörern wurde ein umfassender geschichtlicher Abriss geboten, beginnend mit den ersten Judenchristen über Stationen, wie Apostel-Konzil, die vierte Lateransynode
von 1215 / Papst Innocenz III, Martin Luther, Dietrich Bonhoeffer, Johannes XXIII / Vaticanum II, Landessynoden 1950 u. 1980 (EKD) bis hin zur „Rolle rückwärts“ 2009-2010 des deutschen
Papstes.
Nach dem Kriege, als sich die KZ-Tore öffneten und die Feststellung zurück blieb, dass das Schweigen, Dulden und Billigen der Kirche an der Judenvernichtung neben anderem ein
Glaubwürdigkeitsverlust ist, der als Kainsmal uns weiter begleiten wird. Die vergifteten und verblendeten Hirne verführter Menschenmassen, die durch Wegschauen und Nicht-Wissen-Wollen
Mitverantwortung am Holocaust mittrugen lassen uns heute fragen:
1. Warum muss es immer erst zu wirklichen Katastrophen kommen, ehe die Menschen aufwachen und von ihren bösen Wegen abkehren? 2. Inwieweit hat diese Umkehr und Erneuerung wirklich die
Gemeindebasis erreicht?
Antworten werden erst möglich durch eine offene und schonungslose Aufarbeitung der Geschehnisse und der Ursachen. Das Bekenntnis zur eigenen Schuld führte bei den Kirchen nach und nach zur
epochalen Umkehr in der Theologie und der Kirche selbst.
Mit dem Vortrag von Michael Schankweiler lässt sich auch eine „Moral von der Geschicht“ erkennen, nämlich, dass leichtfertige und überhebliche Kritik an anderen (ohne vor der eigenen Haustüre zu
kehren) nicht zur Wahrheitsfindung führen kann. Nur eine solch ehrliche Selbstreflektion kann uns dabei helfen, Missverständnisse und Vorurteile zu überwinden.
Dieser Vortrag könnte zu einer Überlegung anregen, ob aus dem Tag der Demokratie auch mal ein Tag der Menschenrechte entwickelt werden könnte. Denn Demokratie und Menschenrechte, die in der
Bundesrepublik fälschlicherweise als Synonyme angesehen werden, sind zwei grundlegend verschiedene Dinge. Nelson Mandela sagte: „wer Hass in sich verspürt, der kann nicht wirklich frei
sein“.
(Winfried Esser)